Warum ich mit meiner sterbenden Mama Torsten Sträter schaute - Susanne Bohne

Dezemberflüstern

Hallo liebe Wolke,

hörst du den Wind?

Der Wind flüstert oft im Dezember.

Er weht mir Erinnerungen in den Kopf, wispert mir Zuversicht ins Ohr und braust in der hohen Tanne vorm Fenster, die sich biegt.
Wenn der Wind im Dezember flüstert, dann höre ich all die Stimmen, die ich nie vergessen werde und die mich begleiten. Wohin ich auch immer gehe. Denn sie haben die Antworten, nach denen ich suche. Man muss dem Flüstern nur ganz genau zuhören.

Meine Großmutter höre ich deutlich zwischen all dem Murmeln heraus. Ihre ferne Stimme legt sich wie zwei vertraute Arme um meine Schultern; sie wärmt. Sie schützt und birgt mich, wenn es dunkel wird.

Manchmal flüstert der Wind lauter. Er rüttelt an dem Segeltuch meines Einmasters, wirft mich hin und ein wenig her. Dann weiß ich, es ist meine Mutter, die zu mir spricht. Die mich schüttelt und aufweckt. Mir mit Sturm den Kopf wäscht und doch ganz sachte bei mir ist. Ihre Windstimme stärkt, ihre Liebe lässt mich den Böen trotzen, die mich umzuwerfen drohen.

Ab und zu weht mir der Dezemberwind sehr leise Stimmen entgegen. Sie tragen Tränen, doch gleichzeitig das Schönste in sich. Wenige Stimmen sind es bloß, sie machen melancholisch, sie stimmen nachdenklich und doch weiß ich, warum sie da sind:
Es ist das Dezemberflüstern derjenigen, die mich ein Stück meines Weges begleiteten, die mich liebten und doch irgendwann nicht mehr da waren.
Aber ihr Flüstern bleibt, solange ich sie in Erinnerungen weiß. Diejenigen, die mir sagen, dass es die Liebe gibt.

Das leise Flüstern dieser Stimmen schenkt mir den Glauben und lässt mich hoffen, dass die Liebe die lauteste Stimme im Wind sein wird. Egal wann.

Der Wind flüstert oft im Dezember, liebe Wolke, weil es eine Zeit ist, die die Erde ein bisschen stiller macht und man ein klein wenig besser hören kann.

Pssst, meine Wolke, hör mal gut hin!


 

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