Ein Teufel namens Trotz. (Oder: Delfin Daisy ist KEIN Hai.)

Hallo liebe Wolke,
sag mal, bist du heute schlecht gelaunt?
Ich frag nur.
Heute früh ist der Nachbar aus Hausnummer 27, der ein knallrotes Elektroauto fährt, das so groß wie eine Schuhschachtel ist und auch nicht wesentlich schneller fährt, Patrouille gelaufen. Wie jeden Morgen. Mit verkniffener Motz-Mine schleicht der Blockwart die Straße entlang und pampt jeden an, der seinen Weg kreuzt. Oder verteilt böse Blicke, dass es einem Angst und Bange werden könnte.

Ist es nicht schlimm, ständig schlechte Laune zu haben?

Mein kleines Leben hatte auch häufiger schlechte Laune, was ja vermutlich ein weit verbreitetes Kleinkindproblem ist, um es nicht als weltweite Epidemie zu bezeichnen.
Ich erschrak mich jedes Mal zu Tode, wenn gerade noch ein fröhlicher, blondgelockter Engel ins Kinderzimmer hüpfte und mir drei Minuten später der Antichrist gegenüber stand, weil der Zorn über das zusammengestürzte Lego Duplo Haus ins nicht mehr messbare stieg.

Mir tat es ehrlich (!) von Herzen leid, dass ich zu so vielen Dingen »Nein« sagen musste (und immer noch muss), die mein kleines Leben in die absolut unaufhaltsame Weißglut trieben.
»Nein, du darfst mit dem Brotmesser nicht die Knete schneiden!«
»Nein, du darfst die sechsspurige Straße nicht allein überqueren!«
»Nein, du darfst die Steckdose nicht reparieren!«

NEIIIN!!!

Ja, mir ging es mit diesen ganzen »Neins« auch nicht gut. Ich finde es schließlich auch blöd, wenn mir jemand im Klamottenladen den letzten Pulli in meiner Größe vor der Nase wegschnappt, den ich so gerne haben wollte. Immerhin läuft mein Kopf dann nicht rot an, ich schmeiße mich nicht auf den Boden, ich zapple nicht wie ein angeschossener Marienkäfer mit Armen und Beinen und ich brülle nicht wie am Spieß »Mamaaaa, nein, nein, nein!!! Lassssss miiiich!!!«, so dass sich alle Menschen umschauen und kopfschüttelnd stehen bleiben.

Das ist ja immer das Schlimmste; diese vorwurfsvollen Blicke, diese gut gemeinten Ratschläge.
»Der würde ich mal so richtig den Hintern versohlen!«
»Was für ein verzogenes Balg!«
»Ooooch, was hat das kleine Schätzchen denn?«
»Das hätte es bei mir nicht gegeben!«

Teufel Trotz

Und ich stand dann immer schwitzend daneben, versuchte krampfhaft zu lächeln (»Ach! Ist gar nicht so schlimm wie es aussieht!«), versuchte das Kind irgendwie zu beruhigen, versuchte meine Nerven zu behalten und wünschte mir einen Schnaps. Oder zumindest ein Stück Schokolade.
Wenn es schließlich soweit war, dass mein kleiner Tasmanischer Teufel seine Besinnung wiedererlangt hatte, dann waren auf einmal alle Gaffer verschwunden. Da hätte ich wenigstens frenetischen Applaus erwartet. Aber das ist nie passiert.

Und bis zum Wochenende dachte ich, wir hätten es überstanden. Den Trotz. Denn die richtig schlimmen Anfälle (siehe oben) ließen auf sich warten und ich hatte sie schon so weit in die finsteren Regionen meines Mama-Gehirns verdrängt, dass sie mir ganz unwirklich vorkamen. Hatte es sie wirklich jemals gegeben?

Taj Mahal und Schloss Neuschwanstein

Unser Wochenende startete bereits etwas verkorkst, weil ich nicht aus irgendwelchen Papierschnipseln das Taj Mahal oder zumindest Schloss Neuschwanstein basteln wollte konnte. Entschuldigung.
Dann dachte ich mir, das Wetter ist toll, warum nicht mal einen Ausflug wagen, der Trotz ist ja nicht mehr da, wird schon schnief gehen.
Tausendvierhundert Zoogäste im Duisburger Delfinarium werden es mir gern bescheinigen, falls ich es mal wieder vergessen sollte: Ja, es gibt ihn noch. Den Teufel namens Trotz.
»Ich will hier raus! Das sind keine Delfine! Das sind Haie! Hilfe!«
Nichts, aber auch wirklich gar nichts, konnte mein kleines Leben davon überzeugen, dass keine weißen Haie in Duisburg Kunststückchen aufführten. Nichts.
Kurz vor Schluss, als sie in einer zweisekündigen Luftholpause verstand, dass ein Hai Delfin Daisy hieß, ratterte es in ihrem kleinen Köpfchen: KEIN Hai dieser Erde heißt Daisy.
Das Publikum wurde verabschiedet. Ende.
Und meine Tochter?
»Mammmaaa! Ich will nicht gehen! Wir müssen uns die Delfine anschauen! NAAAAIN! Die dürfen jetzt nicht wegschwimmen! Hol sie wieder her!«
Da war er wieder, der angeschossene Marienkäfer. Der Teufel namens Trotz (und Frust).

Mutterliebeträne

Und am Ende ihrer Wut, am Ende des Schreiens und Heulens und des Elends sagte sie erschöpft: »Puh, Mama, jetzt bin ich aber fertig!« und ich tupfte mir eine Mutterliebeträne der Erschöpfung und der Erleichterung von der Wange.
Eines ist jedenfalls sicher, wenn man mit meinem kleinen Leben unterwegs ist: Man ist der absolute Publikumsmagnet. Dagegen stinken auch fast keine weißen Haie namens Daisy an.

Im Grunde kann’s mir ja egal sein, liebe Wolke, was andere denken und wann der Teufel endlich für immer in die ewigen Höllenfeuer fahren wird, aber schlechte Laune, so wie sie unser Nachbar aus Hausnummer 27 immer zu haben scheint, ist trotzdem doof. Denn sie macht traurig. Sie frustriert. Sie ist anstrengend. Und sie kostet mir und vor allem meiner Tochter Energie, die wir doch eigentlich viel lieber in Lachen investieren möchten. Und vielleicht gibt es ja doch irgendwo auf dieser Welt einen Hai, der Daisy heißt. Wer weiß…?

Gute Nacht, meine Wolke!


 

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