Hallo liebe Wolke,
geht’s dir gut?
Man hört diese Frage im Alltag gelegentlich. Als eine Art Comic-Sprechblase begegnet sie einem und zerplatzt mit einem leisen Plopp wie ein gemurmeltes „Morgen!“ auf dem Büroflur, ohne dass man das „Guten“ davor hätte hören können. Ob sich jemand allerdings wirklich dafür interessiert, wie es einem geht, das merkt man. Hin und wieder aber auch nicht. Wie fast immer im Leben, kommt es auf das Gefühl an; das Gefühl von Echtheit. Und Authentizität.
Kunst
Auch ich neige zu plüschigen Worten, wenn ich über mein kleines Leben schreibe. Weil so ein kleines Leben eben etwas ziemlich sehr Großes ist. Es gibt eine Millionen Farben, mit denen ich die Liebe für meine Tochter auf Papier malen könnte. Und zwar mit schwungvollen Linien, die ein großes Gesamtkunstwerk ergeben. Wenn ich ein Künstler wäre, dann würde es so schön werden, dass man es direkt rechts neben die Mona Lisa hängen könnte. Oder links neben ein goldverziertes Gemälde von Klimt. Das Liebesgemälde würde alle anderen überstrahlen, es würde allen anderen die Show stehlen, weil jeder, der es ansehen würde, mitten ins Herz getroffen werden würde. Selbst der, der sich nichts aus Kunst macht.
Kitsch
Ja, die Liebe zu seinem Kind, zu seinen Kindern, sie ist wirklich endlos und endlos schön. Kein Kunstkritiker dieser Welt würde das bezweifeln – solange jedenfalls, wie das Gemälde echt ist. Authentisch. Es gibt allerdings Liebesgemälde, die sind das nicht. Die tun nur so als ob. Die sind eine täuschend echte Kopie. Sie triefen vor Kitsch, sie sind überladen und überfordern mich mit einem Zuviel.
Ich meine das so, liebe Wolke: Wenn man, zum Beispiel, auf dem Weihnachtsmarkt nicht nur einen Zuckerapfel isst, sondern fünf auf einmal, dann schmeckt die süße, rote Glasur irgendwann auch nicht mehr, sondern wird klebrig und ein bisschen eklig im Mund. So ungefähr ist das mit dem Kitsch.
Minnesang
Es gibt Menschen, die frohlocken mit ihrer kleinen Schalmei in der Weltgeschichte herum und raspeln über das Kinderhaben und Elternsein Süßholz in Massenproduktion. Sie wissen, der Zuhörer kann leicht drauf ausrutschen – und schon liegt man drin, in der Soße aus Kitsch. Das ist auch nicht verwunderlich, denn die Liebe, die Wünsche, die Hoffnungen und die Gedanken, die in einem herumwuseln, wenn man sein Kind in den Armen hält, die sind so vielfältig, dass man ja froh ist, wenn sie jemand in den schönsten Tönen besingt. Oder mit der Schalmei beflötet.
Bloß: Ist das immer echt?
Warum Rosa nicht immer schön ist
Mir hat jemand geschrieben, dass „das Leben halt nicht immer Rosa ist. Und auch Rosa ist nicht immer schön.“ (Danke dafür!)
Ja, genau so ist es.
Worte können nicht das abbilden, was die Liebe und das Leben mit einem machen. Je älter man wird, oder je mehr man von dieser Welt gesehen hat, desto mehr gibt es, was zusammenspielt, was man nicht mehr nur allein betrachten kann. Und das alles macht einen zu dem, der man eben ist.
Trotzdem: Das Gefühl im Bauch, das ich für meine Tochter in mir trage, das kann man mit tausend wohlklingenden Sätzen beschreiben, oder es zumindest versuchen. Aber keine Worte werden es je so zum Ausdruck bringen können, wie ich es empfinde. Wie jede Mutter und jeder Vater es für sich selbst im eigenen Bauch, im eigenen Herz, empfindet. Und ich glaube, für dieses Gefühl, dafür gibt es unglaublich viele Farben, nicht nur Rosa.
Jeder hat seine eigenen.
Ohne Worte
Und, wie so oft, erkennt ein Kind viel mehr als ein Erwachsener.
Weil Kinder das noch können. Das mit dem Sehen. Durchs Herz.
Kinder merken sehr schnell, was echt ist. Und was nicht.
Ein kleines Leben, das scheint eine Brille zu tragen, die die Sprechblasen über den Köpfen der Menschen sichtbar macht – und es kann damit das Original von der Fälschung unterscheiden. Auf einen Blick. Keine schönmalerischen Worte können ein kleines Leben einlullen; ein Kind wird von ihnen nicht berührt. So lange jedenfalls nicht bis es das Gefühl dahinter spüren kann. Anders als wir, die „Großen“, die sich allzu gern von glitzernd-kitschigen Worthülsen blenden lassen.
Aber eigentlich sind Worte gar nicht nötig.
Mein Kind erkennt wortlos meine Liebe. Und gibt sie mir zurück.
Wie soll man dieses, das größte Kunstwerk, das es wohl unter Menschen geben kann, in Worte verpacken, ohne dass es sich anhört wie ein sentimentaler Schlager im 4/4 Takt?
Nein, Worte sind eigentlich nicht nötig.
Original oder Fälschung?
Alle plüschigen Worte lösen sich in Luft auf, wenn sie nicht mit echten Emotionen gefüllt sind. Sie gehen einfach flöten. Auch ohne Schalmei.
Ich habe das selbst erlebt, und auch wenn jeder seine eigene Vorstellung davon hat, wie man als Erwachsener seinem Kind und anderen Erwachsenen begegnet, wie man Erziehung für sich definiert – ich selbst bin ein Fan von Geduld und den leisen Tönen. Nicht den lauten.
Ich bin ein Fan davon, meine Tochter verstehen zu wollen.
Und ich bin ein Fan vom Echtsein.
Egal, wie andere das finden mögen.
Denn ich möchte gemocht werden (oder auch nicht), weil ich ich bin.
Und nicht, weil ich mir schöne Worte ausdenke, die leer sind.
Lieber bin ich ein bisschen leiser.
Nur und ausschließlich Rosa ist nämlich nicht immer schön, liebe Wolke. Denn die Summe der Farben, die, bei denen man in die Tiefe schauen kann, bei denen man etwas erkennt, das einen selbst und den anderen berührt, diese Farben machen ein Bild erst zu einem Liebesgemälde mit sanften Tönen. Ohne Worte.
Herz dich, meine Wolke!