Schubladendenken

Hallo liebe Wolke,

hast du irgendwo eine Schublade?

Ich frage, weil ich eine Schublade in meiner Küche habe, in der ich ganz viel Krimskrams sammle. Einmal im Jahr sortiere ich sie aus, dann geht sie auch wieder zu, und im Laufe der Zeit häufen sich dort erneut allerlei Kinkerlitzchen an, die ich nicht wegwerfen möchte, aber sonst nicht weiß, wohin damit.

Ist es nicht ulkig, dass man auch Menschen in Schubladen sortiert?

Hier die Schublade der Frohnaturen, da die Schublade der Egoisten, hier die der Rama-Familien und dort, ja dort, irgendwo, gibt es auch die Schublade der Alleinerziehenden.

Da stecke ich drin.

Sie ist ganz schön gut besucht, das kann ich dir sagen, liebe Wolke, und es werden stetig mehr, die hineingepfeffert werden.

Man muss sich Alleinerziehende ja grundsätzlich als verbiesterte, depressive Burn out-Muttis vorstellen, die ausschließlich über ihre Ex-Männer schimpfen – selbstverständlich geht es da immer ums Geld, um den Umgang, um Beleidigungen – und die weinend darüber jammern, wie schwer sie es doch im Allgemeinen und im Speziellen haben.

Ein illustres und fröhliches Trüppchen sind wir also in dieser Schublade.

Die Schubladengruppentherapie, die findet regelmäßig statt, manchmal basteln wir auch oder backen gemeinsam. Aber nicht so häufig. Denn die Alleinerziehenden sind eigentlich nur müde, ausgelaugt, verbittert und schlurfen in Jogginghose durch die Schublade. Und furchtbar aussehen, das tun wir ebenfalls. Versteht sich von selbst, denn sonst wären wir ja in der Rama-Familienschublade.

Jede(r) von uns hat eine Menge zu erzählen. Von der Vergangenheit. Geschichten, die gibt es viele in unserer Gruppe der Anonymen Alleinerziehenden, da fällt man beim Zuhören manchmal fast vom Stühlchen. Und möchte sich auch nicht wieder draufsetzen.

Alle haben aber auch eine Menge Dinge zu erzählen, die mit der Gegenwart zu tun haben. Oder sogar der Zukunft.

Man kann sich das vielleicht nicht so vorstellen, denn wenn man einmal in der Schublade der Alleinerziehenden gelandet ist, dann kommt man da nie, nie, nie wieder heraus. Und auch für die Kinder ist das quasi das Schlimmste, was einem im Leben passieren kann. Mit Mama allein sein. Oder mit Papa.

Wenn wir nämlich noch in der Wildnis der Steinzeit leben würden, wäre es unser Todesurteil. Das Alleinsein. Weil ja niemand da ist, der für uns jagen geht und uns beschützt. Zum Glück sind die Säbelzahntiger aber ausgestorben, da haben wir doch ganz schön großen Massel gehabt! Darüber herrscht Einstimmigkeit in unserer Schublade.

Mein kleines Leben hat mir gestern gesagt, dass sie es toll findet, mit mir alleine in unserer kleinen Wohnung zu wohnen, weil wir es so kuschelig haben. Und weil ich immer so lieb zu ihr wäre, auch wenn sie mal Quatsch macht.

»Weißt du«, habe ich geantwortet »es gibt viele Arten wie Kinder mit ihren Eltern zusammenwohnen. Mit Mama und Papa. Manchmal nur mit Papa. Manchmal mit zwei Mamas oder zwei Papas. Und manchmal, wie bei uns, nur mit Mama.

Aber das Wichtigste ist: Ich habe dich immer lieb, egal welchen Quatsch du machst. Und dich habe ich so sehr lieb wie sonst niemanden. Auf der ganzen Welt!«

»Das erfreut mich!«, sagte mein kleines Einsteinleben und ich musste lachen.

Ich bin so unglaublich verliebt in meine kleine Tochter, dass mir Schubladen herzlich egal sind. Denn man sucht sich im Leben nicht so viel aus, liebe Wolke. Aber man wählt. Und darum denke ich, dass man für niemanden eine Schublade einrichten sollte.

Außer für meinen Krimskrams in der Küche.

Liebe Grüße an dich, meine Wolke!


 

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