Sommerferien 2021 – meine Nerven und andere fragile Dinge
Hallo liebe Wolke,
wie geht es dir, so nach 16 Monaten (oder sind es schon Jahre?) Pandemie? Reist es sich noch gut dort oben oder machst du besser die Augen zu und wünscht dich auf einen anderen Planeten?
Ich gebe zu, meine liebe Wolke, ich tue das manchmal.
Wir schreiben heute den Abend des zweiten Ferientags der Sommerferien 2021, es ist gerade 21:38 Uhr und aus dem Kinderzimmer kommen noch immer Geräusche. Lange, lange habe ich nicht mehr über meine Tochter, mein „kleines Leben“, geschrieben. Je größer sie wird, desto seltsamer hatte es sich in der Vergangenheit angefühlt, über meine Tochter zu berichten, so als hätte sie keine eigene Meinung. In letzter Zeit hatte ich das Gefühl, es sei nicht richtig, über einen heranwachsenden, jungen Mensch im öffentlichen Raum zu erzählen. Aber für heute mache ich eine Ausnahme.
Zweiter Ferientag – Juhu!
Die dritte Klasse wird es bereits sein, die meine Tochter nach den Sommerferien betritt. Wahnsinn! Außerdem verrückt ist: Sie hat seit ihrer Einschulung nicht ein komplettes Schuljahr mitgemacht – Danke, Covid-19!
Die letzten 16 Monate waren nicht einfach nur anstrengend. Sie waren auch nicht nur ultra-mega anstrengend. Die vergangenen 16 Monate waren, ehrlich, die Apokalypse, das Grauen, der Untergang meiner Nerven und meines Energievorrats.
Das hatte einerseits mit dem Tod meiner Mama zu tun, der mich wirklich traumatisiert zurückgelassen hat. Andererseits hatte (und habe!) ich Sorge und Angst um die Gesundheit meiner Tochter und auch um meine eigene. Dazu ständig diese tägliche Bedrohungslage mit Live-Ticker; diese Zahlen, diese Inzidenzen, diese Horrormeldungen über (u.a.) Mutanten, als wären wir alle in einem echten Endzeitfilm gefangen. Fehlte nur noch Godzilla, der die Siedlung in unserer hood platt trampelt. Oder King Kong. Oder irgendwelche Orks, die hinter der Pappel auf der gegenüberliegenden Straßenseite lauern.
Und als wäre das noch nicht genug, hätte ich ja fast das Homeschooling vergessen. Dieses Schulchaos zwischen Wechselunterricht, Lolli-Test und Quarantäne, hat alle meine Pläne, die ich fürs Schreiben, für meine Bücher – und damit für meine, unsere Existenz – hatte, zunichte gemacht. Das geht nicht nur mir so. Das geht uns allen so.
Und das wiederum ist schon ein bisschen, ein kleines Bisschen tröstlich.
Trost, Trotz und Trallafitti
Ja, es tröstet mich nur ein bisschen.
Meine Tochter hat es ganz gut hinbekommen, das mit dem Homeschooling. Sie hat trotzdem etwas gelernt und ich habe versucht, eine ganz passable Lehrerin zu sein. Keine Ahnung, ob mir das immer so gut gelungen ist, aber probieren geht ja über studieren. Oder so.
Hat uns Eltern das eigentlich mal irgendwer gedankt, was wir da geleistet haben? All die Monate? … Hm. Ich glaube, ich habe die große Dankesparade mit Höhenfeuerwerk und dem tröstenden Scheck verpasst. Naja, ich stehe ja auch nicht so unbedingt auf Trallafitti.
Ja, es tröstet mich nur ein bisschen, dass wir alle gemeinsam durch diese 16 bisherigen Monate Pandemie schlurfen mussten. Denn: Ich kann nicht mehr. Ich bin so unfassbar ausgelaugt, so müde, so faltig, so schlabberig. Ich fühle mich wie ein Blätterhaufen, der beim nächsten großen Luftstoß weggeweht wird.
Burn-out im Blätterhaufen
Ich sitze da richtig schön drin. In dem Burn-out. Als Blätterhaufen.
Meine Kreativität scheint sich verabschiedet zu haben. Ich brüte seit Wochen über einem neuen, tragfähigen Plot für einen neuen Roman. Aber mein Hirn hat die Bretter vor den Eingang und die Fenster genagelt, als würde der Tornado gleich um die Ecke biegen. Da kommt weder was rein, noch was raus. Es ist einfach weg. Im Burn-out des Blätterhaufens verschwunden. Und es fühlt sich an, als würde es nie wiederkommen.
Diese sehr hilfreichen (nicht!) Gedanken verschlimmern natürlich alles nur noch. Ich weiß das schon, aber kann dagegen nicht viel machen. Außer das, was ich gerade versuche: mich aus dem Blätterhaufen zu ziehen.
Zweiter Ferientag, Sommerferien 2021
Eigentlich hätte ich Lust darauf, gar nichts zu tun. Na gut, vielleicht ein bisschen beim Opa im Garten helfen und ein bisschen Waffeln mit Vanilleeis essen und ein bisschen am Meer entlang spazieren und ein bisschen meine Tochter anschauen, die schon so groß geworden ist, dass ich nur staunen möchte und ihre langen Locken durch die Finger gleiten lasse. Mein kleines Leben ist so groß geworden. So, so groß. Ich fühle mich, als sei ich sehr, sehr alt geworden.
Diese Pandemie hat viel mit mir, viel mit uns allen gemacht. Und dabei kann ich mich noch nicht mal so recht beschweren; ich habe niemanden verloren durch Corona. Ich bin nicht selbst erkrankt, ich bin sogar schon geimpft – was die Panikattacken ein bisschen abgeschwächt hat. Wir haben ein Dach über dem Kopf und müssen nicht hungern, wir haben uns. Das ist schon viel mehr, als manche Menschen überhaupt jemals haben werden.
Sommer 2021
Also bin ich dankbar. Dankbar für das, was wir haben. Dass wir uns haben. Am Ende ist nämlich genau das das Einzige, was zählt.
Nun denn: Ich sitze sehr erschöpft, aber dankbar, als Blätterhaufen in einer Ecke und hoffe sehr, dass alles wieder gut wird, dass meine Tochter schöne Sommerferien 2021 haben wird, auch mit einem müden Blätterhaufen als Mama, der sich manchmal weit weg, auf einen anderen Planeten wünscht.
Aber ich glaube, meine liebe Wolke, das ist in diesen Sommertagen gar nicht nötig. Denn hier ist es doch ganz schön. Ob müde oder nicht. Der Sommer hat ja glücklicherweise immer diesen hübschen Filter mit dem warmen Licht dabei. Und den speichern wir für den Herbst. Versprochen?