Über Schlaubischlümpfe. (Oder: Sagt mal, wo kommt ihr denn her?)

Hallo liebe Wolke,
weißt du, was ich beachtlich finde?
Früher, wenn ich wusste, die Kopfschmerzen werden blöd, hab ich mich hingelegt. Falls ich Gelegenheit hatte. Früher hab ich mich manchmal einfach ins Auto gesetzt, drehte die Musik auf, fuhr drauflos und sobald ich wieder Zuhause ankam, war meine schlechte Laune verschwunden. Ab und zu bin ich ins Museum gegangen, einfach so, weil ich Lust dazu hatte, bin nach Wien, Hamburg, Barcelona oder Recklinghausen gefahren, ohne groß zu planen und mir überlegen zu müssen, was man für einen Ausflug dringend benötigt. Heute geht das ja alles nicht mehr so easypeasy. Jedenfalls für mich nicht. Andere schnallen sich ihr Kleinkind auf den Rücken und reisen um die Welt, besuchen täglich einen anderen Kinderkurs, gehen Vollzeit arbeiten, kümmern sich um die kranke Großmutter, lassen den Thermomix heißlaufen – und machen danach noch ein Workout. Auch das finde ich beachtlich und nein, ich schaffe das nicht. Auch, weil am Ende der Kraft nicht mehr viel übrig bleibt. Aber weißt du, was ich noch beachtlicher als all das finde? Schlaubischlümpfe.

Schlaubischlümpfe & Seitenhiebe

„Eine Kinderpsychologin, die ich neulich ganz zufällig traf, sagte mir, dass Kinder mit so einer Mutterfixierung total schwierig werden. In der Pubertät.“

Das wurde mir kürzlich, über eine halbe Brille schauend, eröffnet. Was sollte ich denn nun dazu sagen? „Ach so! Ach ja! Gut möglich, dass bei Alleinerziehenden so ’ne Fixierung ganz fix mal passieren kann. Weil m ö g l i c h e r w e i s e kein anderer da ist?“ ?
Dafür braucht man kein Fachmann zu sein. Mein kleines Leben hängt sehr an mir. Das stimmt schon. Aber das bringt nun mal die Situation mit sich, die meine Madita im Übrigen nicht anders kennt. Für sie ist es völlig normal, dass wir zwei, und eben nur wir zwei, es uns in unserer Mädels-WG gemütlich und friedlich machen. Und sie kennt aus Kita und Freundeskreis unterschiedliche Familienmodelle – und findet auch diese normal. Es mag durchaus sein, dass Kindern, die ohne ständig präsente Vater(oder auch Mutter-)figur aufwachsen, was fehlt, so zwischendurch: eine andere Sichtweise, eine andere Art der Erziehung, oder einfach den anderen Part, der einen ausmacht. Biologisch gesehen.

Ich kann nunmal keinen Vater ersetzen, obwohl ich das mit dem Pferdchenreiten ganz gut drauf habe. Mein Rücken findet das zwar nicht so, aber das ist eine andere Geschichte. Was allerdings diese kleinen Seitenhiebe angeht: Merkwürdig, das. Nur weil man sein Kind allein aufzieht – und das mit so viel Liebe, dass man aus seiner Kraft den letzten Tropfen gern rausquetscht, was nicht immer nur furchtbar anstrengend, sondern sogar schrecklich schön ist – heißt das ja noch lange, lange nicht, dass sein Kind unbedingt schwierig werden wird oder sowieso geschädigt für den Rest seines Leben ist oder zwingend drogenkranker Krimineller wird oder Mathelehrer.

Arbeit

Ich weiß ja auch nicht, liebe Wolke, warum mir alle möglichen Menschen immer was ins Ohr flüstern wollen, diese Seitenhiebe, weil sie denken, sie hätten das Recht dazu, sie könnten mich und mein Leben einschätzen, womit es mir irgendwie ganz unwohl wird. Davon kann man nämlich ein Kullern im Magen bekommen, das da gar nicht hingehört.
„Da musst du aber mal dran arbeiten!“
Man lernt ja nie aus im Leben und ich nehme mir Sachen zu Herzen. Manchmal nehme ich sie mir auch zuviel zu Herzen. Und das ist nicht immer gut. Auch, wenn ich denke, dass man nicht stehen bleiben sollte, dass es immer Dinge gibt, die man „optimieren“ kann, ich bin da nicht beratungsresistent. Bloß: Wenn mir die ältere Dame im Restaurant am Nebentisch dringend rät, mein Kind nicht aus zwei Gerichten wählen zu lassen, was es gerne essen möchte, weil es das ja früher auch nicht gegeben hätte und die Erziehung heutzutage ja wirklich komisch ist und ich da vielleicht mal dran arbeiten müsste, dann könnte ich, ja, dann könnte ich kotzen. Tschuldigung.

Weltfrieden

Manche Menschen also, die mir im Alltag begegnen, die mit mir nichts zu tun haben, die mich nicht kennen und mich nie kennenlernen werden, die von meiner Lebensgeschichte noch nie etwas gehört haben – diese Menschen maßen sich hin und wieder an, mir zu sagen, woran es bei mir mangelt und überhaupt. Ich denke, nein, ich weiß mittlerweile, wer ich bin. Ich kenne mich und meine Fehler. Vor allem Mütter sind aber ein beliebtes Ziel solcher kleinen, dezenten Hinweise von Menschen, die als Schlaubischlümpfe zu uns auf die Welt geschickt worden sind, um uns von allem charakterlichen Übel zu befreien. Im Übrigen, und das weiß ich mittlerweile aus Erfahrung, bieten Alleinerziehende eine ziemlich große Angriffsfläche. Weil sie ganz bestimmt ein mangelndes Selbstbewusstsein haben, weil sie ganz bestimmt frustriert sind und überhaupt als Burn-out-Maschinen nur noch ihr Programm abspulen. Und, dass das mit dem Weltfrieden auch nicht klappt, tja, da muss man wohl einen Kinderpsychologen fragen.

Warum?

Und warum passiert mir das immer mal wieder? Weil ich es zulasse. Vielleicht auch, weil ich manchmal etwas ausstrahle, das so etwas wie eine „Bitte um Einschätzung, Beratung und Hilfe“-Leuchttafel nach außen projiziert. Daran, liebe Wolke, daran muss ich wohl wirklich noch arbeiten.

Aber ich bin auch immer für mehr Miteinander und Akzeptanz und vor allem bin ich dafür, dass man gut ist, wie man ist. Jeder. Auch, und ganz besonders, mit seinen kleinen Mängeln, mit seinen kleinen Kratzern. Wenn man nach Unterstützung fragt, wenn man um Rat und Tat bittet, dann darf man sich nicht wundern, wenn man auch etwas zu hören bekommt, das einem vielleicht anfangs nicht so recht passt – und wenn man drüber nachdenkt, es eventuell in sein Leben lässt und für sich umsetzt. Urteile aber, die vorschnellen, ungebetenen und die, die keine persönliche Grundlage haben, treffe ich selbst über mich und über mein kleines Leben. Und manchmal, meine Wolke, stehe ich vor dem Spiegel und weiß, ich bin Clumsy Schlumpf, klopfe mir danach selbst auf die Schulter, denke nicht mehr an früher, als doch alles, ach so easypeasy war (war es das wirklich?), sondern bin ziemlich zufrieden mit dem, was ich da sehe. Auch dann, wenn einen manchmal Zweifel und Schlaubischlümpfe begleiten.

Sei umarmt, meine Wolke.

 

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