wo bleibe ich hallo liebe wolke

Wo bleibe ich?

Hallo liebe Wolke,
wo sind die Schwalben?
Ich vermisse sie. Jedes Jahr warte ich ungeduldig bis sie eines Tages dann doch wieder kreischend um unseren Häuserblock rasen. Dieses Jahr allerdings sind sie nicht angekommen und ich glaube, sie werden es auch nicht mehr.

Weißt du, wo sie sind?

Verloren gehen

Man kann schnell verloren gehen, das habe ich wohl mit den Schwalben in diesem Jahr gemeinsam. Ich bin müde. Ich bin erschöpft. Es fühlt sich an, als wäre ich vor Jahren losgeflogen, aufgebrochen, und als hätte ich mich dann irgendwo und irgendwann verflogen, über dem Meer. Und dann, weil der Ozean so groß ist, so weit ist, dass es dort nirgends auch nur ein Ästchen gibt, auf dem ich kurz hätte Rast machen können, flattere ich jetzt mit zerzausten Flügeln, die nur noch dafür da sind, nicht abzustürzen.

Zugvogeltherapie

Neulich habe ich mich deswegen dazu entschlossen, mich mit einer Fachfrau für erschöpfte Zugvögel darüber zu unterhalten. Über mich zu unterhalten und über das, was in den letzten Jahren an mir vorbeigezogen ist. Weil ich in schwere Gewitter geraten war.
Vielleicht bringt das was, mit der Therapie, wobei ich meist am liebsten nur schlafen möchte und jemanden hätte, der die Küche wischt. Und das Bad.

Mama ist jemand. Mama ist alle. Aber wo bin ich?

Ich hätte gern jemand, der kocht und einkauft. Jemand, der die Wäsche macht, den Müll rausbringt, das Auto tankt und wäscht und jemand, der zwischendurch mit dem Hund geht.
Jemand, der die Hausaufgaben betreut, morgens um 6 aufsteht, Brotdosen mit Obst bestückt, an das Sportzeug denkt, den Stundenplan im Kopf hat und gute (oder weniger gute) Ratschläge wegen blöder Jungs gibt, die ganz schön gemein sein können. Jemand, der beruhigt, jemand, der gut zuredet, jemand, der schimpft.
Jemand, der Verabredungen mit Kindern trifft, der Kindergeburtstage organisiert, oder jemand, der nach Hobbys sucht, die vielleicht Spaß machen könnten. Nicht mir, aber meiner Tochter.
Jemand, der sich gern mit Vorpubertieren auseinandersetzt, der Kieferorthopäden bemüht und jemand, der sich um die Materialliste kümmert, die meine Tochter am Dienstag beim Kennenlernnachmittag im Gymnasium erhalten hat.

Jemand, jemand, jemand

Jemand, der meinen Papa jeden Tag um 8.30 Uhr anruft, um zu hören, wie es ihm geht, um zu hören, ob er noch lebt, um zu hören, was er heute zu Mittag isst. Jemand, der für mich Mitte Juni auf den Friedhof fährt, und der es für mich kapieren kann, dass meine Mama nicht mehr da ist. Die einzige, die mir immer zugehört hat.

Ich hätte gern jemanden, der meine Kreativität aufweckt, der meine Internetseiten betreut, der neue Portfolio Vorlagen macht und der meinen Shop bestückt, der Kunden E-Mails beantwortet, Downloads freischaltet und neue Geschichten schreibt.
Jemand, der meinen Steuerberater und das Finanzamt ruhig stellt, der meinen neuen Roman für mich schreibt und meine Miete bezahlt.

Jemand, der sich um mein Herzstolpern kümmert.

Jemand, der mich fragt, wo genau ich auf dieser Liste stehe.

Ich warte auf die Schwalben

Liebe Wolke, ich warte auf die Schwalben.

Die Sonne steht schon hoch um 9 Uhr am Pfingstsamstag 2023 und in den letzten Jahren schossen immer die Schwalben an ihre vorbei. In den letzten Jahren hatte ich immer noch ein bisschen Kraft und ich weiß nicht, wo ich sie verloren habe. Wahrscheinlich ist sie dort, wo die Schwalben sind: einfach weg. Aber weil ich einfach nicht aufhören kann, an das Gute zu glauben, kehren beide vielleicht eines Tages ja doch wieder zurück. Wer weiß das schon so genau?

Bis dahin sage ich allen, um die ich mich leider nicht kümmern kann, denen ich nicht antworten kann, für die mein Tag zu kurz ist: Entschuldigung, aber ich warte auf die Schwalben. Und auf mich.

Alles Liebe, meine Wolke!

Deine Susanne


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