Hallo liebe Wolke,
denkst du manchmal Gedanken, die man besser nicht denkt?
Am Wochenende war Badetag – und „Knete an die Tischbeine klebe-Tag“. Und „Fingerfarbe auf dem Teppich ausschütt-Tag“. Und „bereits zusammengefaltete Wäsche aus dem Wäschekorb im Wohnzimmer verteil-Tag“.
Das alles passierte, während ich duschte. Glaub mir, liebe Wolke, ich bin ein Schnellduscher. Vermutlich sind die meisten Mütter Schnellduscher; einen ausgiebigen Spa-Besuch im eigenen Badezimmer hatte ich jedenfalls schon lange nicht mehr. Und als ich mit meinem Handtuch auf dem Kopf mein Wohnzimmer ansah, das nun wirklich schön bunt und herrlich chaotisch mit kindlicher Kreativität „geschmückt“ worden war, hatte ich merkwürdige Gedanken.
Ich würde…
Während ich den Fleckenentferner auf die Fingerfarbe sprühte, die Knete von den Tischbeinen abknibbelte, die Wäsche wieder faltete und die Schmutzwäsche auf den großen, geradezu monumentalen, Haufen warf, dachte ich:
Ich würde das nicht vermissen. Ich würde das wirklich nicht vermissen – keinen verschmierten Teppich, kein heilloses Durcheinander, mit dem ich mich die nächsten Stunden beschäftigen müsste. Und das am nächsten Tag so, oder so ähnlich, wieder auf mich warten würde. Ich würde es nicht vermissen, Hundedreck aus Kinderstiefeln zu kratzen und ich würde es nicht vermissen, vierundzwanzig Stunden am Tag Dienst zu haben.
Ich müsste…
Es fühlte sich falsch an, das zu denken. Denn ich müsste doch eigentlich für immer und ewig dankbar sein und die kreative Ausdruckskraft meiner Tochter, die meine frisch gewaschenen Unterhosen auf dem Fensterbrett und den Topfblumen verteilt arrangiert hatte, lobend erwähnen und mit einem „Ach wie süß!“ quittieren. Natürlich nur gedanklich. Erziehung ist ja schon wichtig.
Als gute Mutter müsste ich doch aber mein Verlangen nach ein bisschen mehr Ordnung und nicht noch mehr (Haus-)Arbeit meinem kleinen Leben zuliebe immer hintanstellen. Und eigentlich geht es ja im Grunde gar nicht um den blöden Haushalt. Es geht um ein Stück, ein klitzekleines Fitzelchen Privatsphäre, ein eigenes Leben, das sich mit einem kleinen Kind, zumindest ab und zu gefühlt, pfeifend aus dem Staub gemacht hat.
Gute Mutter…
Ja, müsste man wahrscheinlich. Das mit dem Nichtdenken und dem Nichtvermissen. Aber: Es gibt diese Tage, da wünsche ich mir einfach kein Chaos. Gute Mütter müssen aber alles am Mama sein mögen. Sie müssen zwar nicht immer alles gut finden, was ihre Kinder so anstellen, aber sie müssen die Kindheit und ihre Mutterschaft ehren und lobpreisen. Wann immer es geht.
Manchmal kann man…
Diese Gedanken, meine Gedanken, die ich hatte, die sind nicht besonders schön. Sie machen auch keine besonders gute Laune. Denn irgendwie wünscht man sich in das Zeitalter zurück, das es nie wieder geben wird, bevor man Mutter (Vater, Eltern) geworden ist. Aber manchmal fühlt man sich einfach so. Manchmal mag man die Nebenwirkungen des neuen Zeitalters einfach nicht. Manchmal kann man nicht nur lobpreisen. Und dann kommt direkt so ein Schuldgefühl zu den Gedanken geflogen, die gemeinsam im Kopf eine lustige Party feiern. Aber man sagt nix. Man macht das mit sich selbst aus und kämpft ganz gut dagegen an. Mütter sind bekanntlich Löwen.
Ich gestatte…
Und deswegen schreibe ich dir das, liebe Wolke. Weil ich mir diese Gedanken gestatte. Weil ich einfach nicht glauben kann, dass diese Gedanken – die ich übrigens auch hin und wieder bei der zwanzigsten Wiederholung des Rollenspiels „Legoprinzessin und das rettende Einhorn“ habe – meinen Status als Mutter ändern. Und ich glaube noch etwas nicht: Dass ich allein bin, mit diesen Gedanken.
Man kann glauben…
Man kann schnell glauben, dass, wenn man im Stillen mit einigen Dingen hadert oder sie vermisst, wenn man nicht alle Details des Mamaseins schätzt, dass man dann sein Kind nicht lieben kann. Wenn man es genug lieben würde, dann hätte man diese Gedanken nicht. Könnte man glauben. Wenn man wirklich selbstlos wäre und nicht manchmal aufatmen würde, wenn sein kleines Leben im Kindergarten weilt, wenn man (vermutlich) einfach das ganze Mutterdasein wohl besser auf die Kette bekommen würde, dann würde man auch aufhören können, von einem eigenen (ganz eigenen) Leben zu träumen. Manchmal.
Das könnte man glauben.
Ich verstehe…
Aber, liebe Wolke, wenn man mit diesen Gedanken unter dem Tisch sitzt und betet, dass der Teppichschaum gute Arbeit leistet, dann versteht man auch was:
Ich liebe mein kleines Leben. Ja, ich liebe sie sogar dafür, dass sie meinen Seidenschlüpfer in die Blumentopferde gestopft hat. Ein bisschen weniger Arbeit, ein bisschen weniger Chaos, Wäsche und Dreck, ein bisschen mehr Schlaf und Zeit für mich möchte ich aber auch. Das alles zu wollen beeinflusst aber nicht meine Liebe; die unendliche Liebe für mein Kind.
Ich darf, ich kann…
Ich liebe mein kleines Leben von Herzen, auch wenn ich nicht alles am Muttersein liebe. Zumindest nicht täglich. Meine Tochter ist der wichtigste Mensch in meinem Leben und ich kann und darf mir manchmal trotzdem eine Pause von ihr wünschen. Weil wir beide Menschen sind. Eigenständige. Und ich kann das Muttersein als etwas wirklich erfüllendes sehen – und es auch so empfinden – und aber gleichzeitig wissen, und ebenfalls fühlen, dass es noch ein anderes Leben in mir gibt. Eins, das außerhalb meines Mamaherzens stattfindet. Eins, das nur für mich da ist.
Nicht allein…
Und deswegen denke ich, liebe Wolke:
Wenn es da draußen Mamas gibt, die sich manchmal eine durchgeschlafene Nacht wünschen statt aufzustehen, die sich ein trockenes Badezimmer statt einem Pool auf der Badematte wünschen, wenn der Nachwuchs mit seinem persönlichen Spa-Erlebnis am Abend fertig ist, oder die froh sind, für ein paar Minuten ihre Ruhe zu haben statt sich neue Bastelideen einfallen lassen zu müssen – sie sind nicht allein.
Ich zumindest habe manchmal diese Gedanken, wenn die Knete zentimeterdick an den Tischbeinen klebt. Ich schäme mich nicht für diese Gedanken. Für die Knete schon gar nicht.
Und: Ich bin eine gute Mutter.
Flieg gut in die neue Woche, meine Wolke.